Geschichte

Athen: Die Stadt der ersten Demokratie

Die attische Demokratie gilt als frühestes Beispiel einer demokratischen Ordnung und legte das Fundament für das weit verbreitete politische System. Der Begriff „demokratia“ wurde erstmals in den 460er Jahren v.Chr. verwendet, jedoch ist der Kontext unklar – als Bezeichnung für eine Verfassungsform findet sich der Begriff erst bei Herodot: Er grenzt die Demokratie Athens, in der das Volk an der Macht war, von der „monarchia“ und der „oligarchia“  ab. Die heutige Hauptstadt Griechenlands umfasste im 6. Jhd.  v. Chr. eine Fläche von rund 2500km2 und bildete als florierende Polis das urbane und politische Zentrum Attikas, wozu die entstehende Demokratie beitrug. Dieses Essay untersucht die Entwicklung, Ausprägung und Bedeutung der im 5. Jh. v. Chr. entstandenen Demokratie in Athen.

Der Ausgangspunkt der Demokratieentwicklung bildet die Polis Athen, die der damals typischen Form der Staatlichkeit entsprach. Diese zeichnete sich durch die autonome Selbstverwaltung ihrer Bürger aus, die gemeinsam für die politische Beratung und Rechtspflege zuständig waren. Zu den wichtigsten politischen Strukturen gehörten die Volksversammlung, der Rat und die Funktionsträger, was das schon damals ausgeprägte Prinzip der Gleichheit deutlich macht. Dennoch war die vom Ideal der Autokratie geprägte Gesellschaft geteilt: Nebst dem politisch machthabenden Volk gab es auch Sklaven, Unfreie Bauern und Frauen, die nicht an den politischen Prozessen teilnehmen durften. Im 6. Jhd. v. Chr. intensivierte sich die politische Teilnahme in Athen. Durch Rivalitäten in den adeligen Eliten erhöhte sich der Abgabedruck auf die einfachen Leute, was viele Bauern in die Abhängigkeit oder Schuldknechtschaft trieb. Der drohende Bürgerkrieg gekoppelt mit aussenpolitischer Schwäche brachte Athen in eine instabile Lage, in der von Rechtssicherheit nicht mehr die Rede sein konnte.

Ordnung ins Chaos versuchte 593 v. Chr. Solon zu bringen. Der als Schiedsrichter bekannte Archon traf eine Reihe von Massnahmen, mit denen er Wohlordnung herstellte und das Fundament der Demokratie legte. Seine Massnahmen halfen den Bauern und Sklaven in Not und besänftigten so das Konfliktpotential: Er setzte eine Schuldentilgung durch, befreite die versklavten Bürger und schaffte die Schuldsklaverei sowie die Sechstel-Abgabe ab. Ausserdem setzte Solon eine Neuordnung der Bürger in Stand: Er unterteilte diese in vier Vermögensklassen (Pentakosiomedimnoi, Hippeis, Zeugiten und Theten) und führte damit das Zensuswahlrecht ein. Dass die Bürger nicht mehr aufgrund ihrer Geburt eingeordnet wurden, sondern aufgrund ihres Einkommen, welches sie – wenn auch geringfügig – selbst beeinflussen konnten, bildete einen weiteren Schritt in Richtung Gleichheit. Auch die Reichsorganisation ordnete Solon neu, indem die politische Macht nebst drei Archonten[1] und sechs Thesmotheten[2] auch in den Händen der Boule und der Ekklesia lag. Die Ekklesia bildete die Volksversammlung, die sich aus  sämtlichen Vollbürger Athens zusammensetzte. Die Boule, der „Rat der 400“, wurde jährlich aus allen Ekklesia-Mitgliedern der oberen drei Vermögensklassen gewählt. Zentral war der Gerichtshof Heliaia, dessen Mitglieder das Klagerecht für jeden Bürger besassen. In der solonischen Verfassung konnte sich das Volk politisch stark beteiligen, womit Solons Massnahmen die Geburtsstunde des demokratischen Gedankens bildeten.

Bevor es aber zur attischen Demokratie kommen sollte, erlitt die Entwicklung dieser 561 v. Chr.  mit der Tyrannenherrschaft des Pesistratus und seiner Söhne einen Unterbruch. Diese nahm ein Ende, als Hipparchos 514 v. Chr. ermordet und sein Bruder Hippias vier Jahre später durch spartanische Truppen vertrieben wurde.

509 v. Chr. begann durch die Kleisthenischen Reformen die Etablierung der Demokratie. Von grosser Bedeutung war Kleisthenes‘ Phylenreform: Diese Neuorganisation der Bürger verteilte die Bewohner einer Region auf verschiedene Phylen. Damit gelang es, Adels-Gefolgschaften zu zerschlagen und somit das Potential von Rivalitäten in den adeligen Eliten deutlich zu senken, was den Weg zur Demokratisierung ebnete. Kleisthenes‘ Verfassung baute auf dem Fundament der solonischen auf, nahm aber einige Änderungen vor: Nebst den bisherigen Archonten wurden die Thesmotheten zu solchen erhoben, und ab 487 v. Chr. wurden sämtliche Archonten jährlich ausgelost. Damit verloren sie einerseits ihre politische Vormachtstellung, andererseits ergab sich das Risiko, das unqualifizierte Bürger zu Gesetzgebern wurden. Ausserdem wurden neu zehn Strategen als Vertreter ihrer jeweiligen Phyle von der Volksversammlung gewählt. Die Boule, der nun 500 Bürger angehörten, wurde ebenfalls jährlich neu gebildet, wobei die durch das Los gewählten Männer gleichmässig aus den unterschiedlichen Phylen stammten. Der Ekklesia wurden in der kleisthenischen Verfassung das Initiativ- sowie das Amendierungsrecht zugesprochen, worin das demokratische System klar zum Vorschein kommt. Ausserdem büsste der Areopag, der Adelsrat der ehemaligen Archonten deutlich an politischer Macht ein, da er keine Kontrollbefugnisse über die Gesetzgebung mehr besass. Die durch die Kleisthenischen Reformen etablierte Demokratie in Athen zeichnete sich durch die Gleichheit vor dem Gesetz, durch die politische Beteiligung aller männlichen Vollbürger und durch die als Souverän des Staates funktionierende Volksversammlung aus. Weitere wichtige Merkmale waren die Regierungs-, Gesetzgebungs-, Gerichts- und Kontrollgewalt des Volkes, und die von diesem belegten funktionalen Ämter, die bis heute von zentraler Bedeutung für die Demokratie sind.

In den Perserkriegen wurde die attische Demokratie gefestigt: Durch Athens Siege bei der Seeschlacht Salamis 480 v. Chr. und der Schlacht von Plataiai im folgenden Jahr konnten die Perser zurückgeschlagen werden, und durch Athens Flottenpolitik stieg Griechenland zur bedeutendsten Seemacht des Mittelmeers auf. Dies begünstigte die Festigung der Verfassung, deren Grundgedanke sich weit verbreitete. Auch wurde die Bedeutung der untersten Vermögensklasse, der Theten, gesteigert, da die Mitglieder dieser als Ruderer Teil des Militärs wurden. Die Perserkriege erhöhten also die politische Beteiligung des Volkes, und die Flottenpolitik diente als Motor der Demokratisierung. Nach den Perserkriegen begann die Blütezeit Athens. Die vom Los dominierte Demokratie schien vollends etabliert: Die Amtsträger verfügten nur über begrenzte Funktionen und politische Tätigkeiten wurden durch Diätzahlungen entschädigt.

Ihr Ende nahm die Attische Demokratie erst, als sich 322 v. Chr. die Oligarchie durch die Makedonen etablierte.

Abschliessend lässt sich sagen, dass die Demokratie in Athen von grosser Bedeutung war. Nicht nur bildete sie die Grundlage für die kulturelle Bedeutung Athens, sie begünstigte auch die Machtentfaltung der Polis und übte eine magnetische Wirkung aus. Ausgezeichnet hauptsächlich durch das politische Engagement der Bürger, bildet die Attische Demokratie einen wichtigen Vorläufer für die heutigen politischen Systeme.

[1] Oberbeamte: Der archon eponymos (gab dem jeweiligen Jahr seinen Namen), der archon basileus (ziviler Regent) und der archon polemarchos (Heerführer).

[2] Gesetzgeber und Rechtssprecher, die jährlich aus den Mitgliedern der beiden höchsten Vermögensklassen innerhalb der Volksversammlung gewählt wurden.

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